#Bildungsgerechtigkeit #Ehrenamt
Für mehr Chancengerechtigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Anastasiia Marsheva, Alumna Master Plus
Als ich vor einigen Jahren zum Masterstudium nach Deutschland kam, was mir nur durch das Master Plus-Stipendium der Claussen-Simon-Stiftung möglich war, war ich voller Hoffnung und voller Fragen: Wie funktioniert der deutsche Arbeitsmarkt? Wo finde ich passende Stellen? Wie schreibe ich ein überzeugendes Bewerbungsschreiben? Was erwartet mich in Vorstellungsgesprächen?
In Gesprächen mit anderen internationalen Studentinnen stellte ich schnell fest: Ich war mit diesen Fragen nicht allein. Vielen von uns fehlte nicht die Motivation, sondern der Zugang zu Wissen und Netzwerken. Die offiziellen Angebote an den Hochschulen reichten oft nicht aus, weil sie nicht auf die spezifischen Hürden, vor denen insbesondere Frauen* mit Migrationshintergrund stehen, zugeschnitten sind. Diese sind oft schlechter über den deutschen Arbeitsmarkt informiert und müssen gegen Vorbehalte von Arbeitgeber:innen ankämpfen (vgl. Lokhande 2016). Für hochqualifizierte Frauen aus Drittstaaten oder aus osteuropäischen EU-Ländern bedeutet das oft: Überqualifikation und berufliche Unterforderung (vgl. OECD/European Commission 2023, Lewicki 20.09.2023).
Diese Erkenntnisse ließen mich nicht mehr los. Ich hatte die Vision einer Community von Akademikerinnen mit eigener Migrationsbiografie, die sich gegenseitig beim Berufseinstieg in Deutschland unterstützen. Einer Gemeinschaft, in der Erfahrungen geteilt, Wissen weitergegeben und Erfolge gefeiert werden. Außerdem war ich von der gemeinnützigen Selbstorganisation "SWANS Initiative" inspiriert, die im deutschsprachigen Raum aufgewachsene Akademikerinnen mit familiärer Einwanderungsgeschichte, Schwarze Frauen und Women of Color bei beruflichen Themen unterstützt.
Gemeinsam mit meiner ehemaligen Kommilitonin Monika Snítilá habe ich diese Vision in die Tat umgesetzt – mit der Gründung von Faden e.V.: Zusammen weben wir die Zukunft für Akademikerinnen mit Migrationshintergrund (https://faden-netzwerk.de/). Mit Faden e.V. wollen wir konkrete Räume schaffen, in denen sich Studentinnen und Absolventinnen mit eigener Migrationsbiografie begegnen, weiterbilden und gegenseitig stärken können. Wir glauben an eine inklusivere Gesellschaft, in der alle die gleichen Chancen haben, unabhängig von Herkunft, Sprache oder kulturellem Hintergrund. Dabei richten wir uns insbesondere an Frauen*, die aus nicht-westlichen Drittstaaten oder aus osteuropäischen EU-Ländern stammen, zum Studium nach Deutschland gekommen sind und hier beruflich Fuß fassen möchten.
Doch die Gründung des Vereins wäre ohne großzügige Unterstützung der Claussen-Simon-Stiftung aus dem „Mach den Unterschied!“-Fond nicht möglich. Dank der Förderung konnten wir das erste Projekt realisieren: „StartFaden – Erste berufliche Fäden aufnehmen“.
Zwischen Oktober 2024 und März 2025 nahmen zwölf engagierte Studentinnen aus zehn verschiedenen Ländern an unserem Programm teil. Sie studieren verschiedene Fächer in den Bereichen MINT, Wirtschaft oder Geisteswissenschaften, studieren in unterschiedlichen Städten wie Gießen, Augsburg oder Deggendorf. Uns alle verbindet der Wunsch, sich beruflich in Deutschland zu etablieren. In fünf intensiven Workshops und einem begleitenden Peer-Mentoring beschäftigten sich die Teilnehmerinnen mit Fragen rund um den Berufseinstieg: Wie schreibe ich einen überzeugenden Lebenslauf? Wie präsentiere ich mich im Vorstellungsgespräch? Worauf muss ich bei Arbeitsverträgen achten? Und wie erkenne ich meine eigenen Stärken? Wie gehe ich mit der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt um? Die Workshops wurden auch in Kooperation mit den Career Services des Zentrums für fremdsprachliche und berufsfeldorientierte Kompetenzen der Justus-Liebig-Universität Gießen ermöglicht. Neben der Vermittlung von Wissen über den deutschen Arbeitsmarkt war uns die finanzielle Bildung sehr wichtig, damit die Teilnehmerinnen finanzielle Entscheidungen eigenständig und informiert treffen können. In Kooperation mit der Bildungsinitiative von Finanzfluss erhielten unsere Teilnehmerinnen Zugang zu einem Online-Finanzkurs.
„StartFaden“ war mehr als nur eine Veranstaltungsreihe. Es war der Beginn einer Community. Bei der Eröffnungsveranstaltung haben wir den Verein offiziell gegründet. Seitdem wir mehrere Veranstaltungen organisiert haben, die über das StartFaden-Projekt hinausgehen, ist der Verein um weitere Mitglieder gewachsen. Inzwischen treffen wir uns regelmäßig im Sprachclub „SprechFaden: Deutsch für den Beruf“, besprechen gemeinsam Bewerbungsunterlagen, helfen bei den Vorbereitungen für Vorstellungsgespräche und organisieren regelmäßig Vernetzungstreffen, um die Community weiter auszubauen. Unser Ziel ist es, uns nicht nur gegenseitig zu empowern, sondern auch die Probleme und Hürden von Akademikerinnen mit eigener Migrationsbiografie sichtbar zu machen. Dafür wollen wir öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen organisieren. Gerade ist eine Ausstellung mit Arbeiten eines unserer Mitglieder zum Thema „Frauen in der Wissenschaft” in Planung.
All das wäre ohne die Unterstützung der Claussen-Simon-Stiftung nicht möglich gewesen. Mit der Förderung machen wir den Unterschied auf dem deutschen Arbeitsmarkt: für mehr Gerechtigkeit und eine echte, gelebte Vielfalt.
Literaturverzeichnis:
Lewicki, Aleksandra (20.09.2023): Häufig prekär beschäftigt und überqualifiziert, in: Mediendienst Integration, URL: https://mediendienst-integration.de/artikel/haeufig-prekaer-beschaeftigt-und-ueberqualifiziert.html, zuletzt abgerufen am 02.06.2025.
Lokhande, Mohini (2016): Engagiert gewinnt. Bessere Berufschancen für internationale Studierende durch Praxiserfahrungen. SVR-Forschungsbereich, Berlin
OECD/European Commission (2023): Indikatoren der Integration von Zugewanderten 2023: Settling In, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/13226de3-de
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